pgm - 11.07.2007 - Herr Müller und sein Berghof

 

Das, was sich Hotel nennt, hat seine besten Tage schon hinter sich. Es scheint niemanden zu kümmern. Die Bezeichnung Berghof ist aufgrund der landschaftlichen Lage etwas irritierend. Anhand der Beschilderung ist es leicht zu finden.

 

Kein Fahrzeug auf dem gekiesten Parkplatz, aber die Tür steht offen. Montag und Dienstag Ruhetag, Hotel immer geöffnet. Heute ist Mittwoch. Ich parke direkt neben dem Eingang. Mit einem Teil meines Gepäcks gehe ich durch die einfache Tür in den Gastraum. Er ist einfach groß und viereckig. Alt, aber nicht alt genug. Reichlich dunkel, auch wenn es große Fenster gibt. Grauer Linoleum. Ein Mann in Jeans und grau-weiß gestreiftem Hemd sitzt hinter dem Tresen und telefoniert. Ich höre zum ersten Mal den hiesigen Dialekt.

 

Es geht um eine Kaffemaschine. Ich stelle meinen Ranzen und meine Tasche auf einer der augenscheinlich abgewetzten Polster der Bank ab und gehe ein bisschen im Restaurant auf und ab außerhalb des Blickes des Wirtes. Ich will ihn nicht stören. Ich habe Zeit. Was immer das bedeutet. Ausgestopfte Tiere aller Art schauen mich an. Er beendet sein Gespräch: „Ich habe einen Gast hier.“, und wendet sich mir zu.

 

Er ist freundlich, einfach und direkt, vielleicht Mitte vierzig, groß, dunkle Haare, ebensolche Augen. Ich sage ihm meinen Namen, er nimmt einen roten Ordner, blättert, während er plaudert, darin herum und findet ihn schließlich. Es kommt mir vor als hätte er nicht damit gerechnet. Er spricht von seinem Bruder, der die Sachen mit dem Internet macht. Er möchte wissen, wann ich frühstücken will. Mir fällt nichts ein außer ´Neun Uhr´ zu sagen. Er nimmt einen Schlüssel vom Brett, er möchte das Gepäck nehmen, ich gebe ihm das schwerere Teil. Die Treppe nach oben ist mit grünem Teppichboden belegt, umrundet, umhüllt. Der Gang, in den wir treten, ist mit braunem Teppichboden ausgeschlagen. Auch an den Wänden. Immerhin, an den Seiten kommt Licht herein. Mein Zimmer ist die Nummer vier, in der Mitte des Ganges.

 

Das Zimmer ist einfach, neuer Teppichboden, die Wände weiß. Eine Holzdecke mit zusätzlichen Holzbalken. Die Farbe auf dem Boden des Balkons blättert ab, hie und da ein beginnendes Loch im Boden. Kein Telefon. Zumindest nicht auf dem Zimmer. Kein Fernseher. Einfach, spartanisch.

 

Mit ein bisschen Phantasie kann man das Badezimmer ohne Fenster mit seinen Fliesen aus den frühen 1970er Jahren als orientalisch angehaucht betrachten. Die Farbe der Fensterrahmen blättert ebenfalls ab, auf dem Holzrand des Balkons setzt erstes Moos an. Es scheint niemanden zu kümmern. Das frischgezapfte Bier steht schon gleich abgestanden im Glas. Immerhin, die Wirtschaft ist direkt dabei. Ich hatte nichts erwartet. Nach über vier Stunden Fahrt durch alle Baustellen und Geschwindigkeitsbeschränkungen der sogenannten Republik hatte ich vielleicht ein bisschen mehr Wildnis erwartet. Was immer man darunter verstehen mag. Doch auch hier ist vor allem das Rauschen der Fahrzeuge zu hören. Noch.

 

Gerade geht der schwäbische Wirt mit grünen Gummistiefeln über die Straße auf das andere Grundstück. Ich nehme an, er wird die Gänse füttern, die ganz aufgeregt beginnen, Lärm zu machen. Der Bürgermeister, der gestern gar zweimal bei uns zu Hause anrief, wohnt ganz in der Nähe. Da habe ich es ja nicht weit. Und der Chronist, von dem er sprach, wohnt, wie der Wirt mir redselig mitteilte, direkt nebenan. Er zeigt es mir von der Terrasse aus. Immerhin, die Wege sind kurz hier. Und etwas zum Essen wird es auch geben.

 

Was will ich hier? Fühle mich reichlich deplaziert. Nuckele an dem abgestandenen Bier und ziehe an der Zigarette. Die Gänse sind jetzt sehr aufgeregt. Ein Auto fährt vom Hof über die Straße. Das, was beim Chronisten in der Einfahrt stand. Er fährt, wie ich erfahren habe, jeden Tag zu seiner Frau. Ins Krankenhaus? Der Wirt kommt langsamen Schrittes zurück. Zwischen dem Rauschen der Autos leichtes Vogelzwitschern. Ein blauer Bus mit gelber Schrift quält sich Meter um Meter die Hauptstraße, die ich von hier aus sehen kann, hinauf. Ein Lastwagen schiebt sich bergab kommend bremsend die Straße hinunter. Um jetzt ebenfalls bergauf abzubiegen. Ein Holzlaster.

 

Warum bin ich hier? Holz. Es hat mit Holz zu tun. Im weiteren und im engeren Sinne. Hier lebte ein Teil meiner Ahnen für eine Weile, ein Stück die Dorfstraße hinunter, an der Eisenbahnlinie entlang. Am Alten Sägewerk, so heißt es heute. Ich bin schon mal hingefahren, es liegt an der Straße. Ein großes Gebäude links, das eine Firma nutzt. Rechtsseitig der Straße einige wenige Häuser. Zwei zusammen und noch eins. Augenscheinlich bewohnt. Wind kommt auf, und vor allem rauscht er in der Birke, die drüben bei den Gänsen steht. Die Sonne kommt zwischen den Wolken hervor. Die Kirchturmuhr schlägt. Halb sieben. In den Dörfern, durch die ich auf dem Weg hierher gefahren bin, hatten alle Kirchen eine Art Zwiebelturm als Abschluß. Diese hier nicht. Der Kirchturm hier sieht aus wie ein Haus, dem es an Tiefe fehlt. Er hat ein ganz normales Dach. Es wirkt, als würde er gar nicht zu der rundlich wirkenden Kirche gehören. Immer wieder, Motorengeräusche aller Art. Irgendjemand in dem kleinen Dorf hat eine Maschine angeworfen, die sich immer wieder geräuschvoll aufbäumt. Eine Motorsense vielleicht. Dafür weniger Autos.

 

Nach sieben Uhr. Ich werde durch den braungewandeten Flur über die grünumhüllte Treppe nach unten gehen und nachschauen, was die örtliche Küche hergibt. Mahlzeit.

 

Die Besetzung hat sich um eine Person erweitert: ein junger Mann aus Thüringen oder so, der hier seit einigen Wochen Arbeit gefunden hat. Der Wirt sitzt an einem Tisch mit einigen Papieren und seinem roten Ordner. Ich setze mich an diesen Tisch. Er sagt, er müsse das hier noch unbedingt erledigen. Wir beginnen uns zu unterhalten, er ist die ganze Zeit sehr fröhlich.

 

Herr Müller, so heißt der Wirt, fragt uns, was wir essen wollen. Ich stehe kurz am Tresen und muß lachen. Ich sage, er solle doch das Einfachste machen. Herr Müller, der hier augenscheinlich alle Aufgaben wahrnimmt, verschwindet in der Küche. Es gibt Schnitzel, Pommes und Salat, alles ganz ordentlich. Noch ein Bier. Ein naturtrübes aus der Flasche. Nach dem Schnitzel erzählt mir der junge Mann seine Probleme. Über den Tisch hinweg. Ich frage ihn ein paar Dinge, will aber nicht weiter einsteigen.

 

Eine Mutter und ihre Tochter kommen herein. Es gibt eine lange Besprechung zwischen ihnen und Herrn Müller wegen der anstehenden Hochzeitsfeier für 120 Personen. Ich höre nur immer wieder das Wort ´Fruchtsalat´, das sich wie ein roter Faden durch das Gespräch zu ziehen scheint.

 

Auch ein Pärchen kommt in den dunklen Raum, und es dauert eine Weile, bis Herr Müller auch Licht an dem Tisch anmacht, an dem sie sitzen. Nach einer langen Zeit fragt er sie nebenbei, ob sie denn auch etwas essen wollten. Sie verneinen, der Mann berichtet von dem Curry, das seine Freundin oder Frau gemacht hatte. Herr Müller signalisiert Interesse ob der Zubereitung eines Curry und spricht die beiden mit Nachnamen an. Der Stammtisch sei am 13., Freitag. Dieser wurde auch von dem jungen Mann erwähnt. Ich gehe davon aus, dass bereits dieser Stammtisch hier zu einem größeren Ereignis zählt.

 

Der Berghof ist nämlich nicht nur das einzige Hotel, sondern auch die einzige Wirtschaft am Ort. Ich frage nach den ganz Alten hier, und ich werde an den Bürgermeister verwiesen. Der angeblich gar keiner sein will und es nur ist, weil sich sonst keiner zur Wahl stellte. Oder so ähnlich. Ich sitze einfach nur da und höre zu.

 

Der junge Mann ist nach dem Essen auf sein Zimmer gegangen. Der Wirt Herr Müller fragt, ob ich noch etwas trinken möchte und bringt mir unaufgefordert ein weiteres Bier, obwohl mir mehr nach einem wärmenden Rotwein gewesen wäre. Ich will jetzt hier keine Irritationen schaffen, nehme das Bier und gehe auf Zimmer Nummer vier.

 

Halb elf. Jetzt. Es gibt nicht einmal eine Nachttischlampe, nur das befranste Etwas in der Mitte der Zimmerdecke. Sonst gibt es leider keine zusätzliche wärmende Decke. Es gibt eher so ziemlich nichts. Ich ziehe etwas Wärmeres an und verkrümele mich mit einer Zigarette auf den Balkon. Es ist kalt und unangenehm. Ich spüre, wie meine Finger kalt werden. Das kalte Bier tut ein übriges. Die Vorstellung, ins Bett zu gehen, hat auch wenig Verlockendes. Und mittendrin sehe ich Herrn Müller in allen Funktionen, gleichbleibend freundlich, bauernschlau und souverän als gäbe es sonst nichts auf der Welt. Gibt es hier ja auch nicht. Ich bewundere seine innere Haltung.

 

„Ich bin das siebte Kind aus dieser Ehe. Die – erste? - Frau ist an Leukämie gestorben.“ Eine kleine Beschreibung der verwandtschaftlichen Beziehungen am Nebentisch. Bei Mutter und Tochter, die sehr offensichtlich auch von hier sind und man nicht weiß, wie man denn nun ihren Nachnamen aussprechen soll, weil doch ein ´e´ darin fehlt. Herr Müller hat seinen Spaß damit. Es scheint, dass Herr Müller mit allem Spaß hat.

 

Es kommt mir vor wie in einem seltsamen Film. Ich sehe den schäbigen Schrank. Der Griff einer Schublade ist durchgebrochen. Die Polster der Bänke glänzen in schäbigem grün und gold. Es scheint niemanden zu kümmern. Es gibt niemanden außer Herrn Müller, der alles macht. Alles, was es eben zu machen gibt.

 

Herr Müller hat eine Schwester, die war vorhin am Telefon. Er hat es gleich dazu gesagt, nachdem er einen wohl groberen schwäbischen Scherz losgelassen hat. Nicht, dass einer denkt, er würde so mit seinen Gästen sprechen. Er lacht laut auf. Ich habe es allemal nicht verstanden, abgesehen davon, dass ich auf das Gespräch nicht geachtet habe. Herr Müller ist allemal einfach nur da. So, wie er ist. Hier auf dem, was sich Berghof nennt und an einer sanften Anhöhe liegt.

 

Kaum ein Rauschen vorbeifahrender Autos. Entfernt irgendein motorenähnliches Geräusch, leise. Warum bin ich hier? Weil es allemal gleichgültig ist, wo ich bin? Mich habe ich allemal im Gepäck. Im Berghof, zu Hause, wo auch immer. Hier allein, nachts in der Kälte, den einzelnen vorbeirauschenden Autos lauschen. Ist dieser Platz so gut wie jeder andere? Nein. Ist er nicht. Ich habe keine Ahnung, was es bedeutet, mich in den Berghof zu setzen. Und erneut zu hören, wie sich ein schweres Fahrzeug die Straße bergan hochbemüht. Noch ist die Straßenbeleuchtung an. Ich werde mit all dem kalten Bier im Bauch ins Bett gehen.

 

Nächster Morgen, Rückblende: Dreiundzwanzig Uhr. Die Nacht nahm kein Ende. Sie hatte nicht mal einen Anfang. Es war eiskalt, und ich zog mich nicht ganz aus. Ich fror, wachte immer wieder aus einem unruhigen Schlaf auf. Und hatte Magenschmerzen, die ich wohl dem kalten Bier zuschreiben darf. Ab fünf Uhr, als es wieder hell wurde, schlief ich fester ein. Das Erwachen war auch nicht besser. Ebenso das Frühstück, das aus einem ziemlich staubigen Brötchen bestand. Die Wurst auf dem Teller sah nicht sonderlich appetitlich aus. Herr Müller war wieder so etwas wie fröhlich.

 

Als ich den obligatorischen deutschen Kaffee verweigere und nach grünem Tee frage, bietet er mir Pfefferminztee an. Ich verziehe das Gesicht und sage, dass ich grünen Tee meine. Er geht in die Küche und ruft, dass ich kommen solle. Er hat die Schublade mit den verschiedenen Teebeuteln geöffnet. Ich sehe gleich den grünen Tee. Danke.

 

Später frage ich noch nach der Tageszeitung. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass es Herrn Müller zu viel werden könnte, sollte ich die Absicht eines weiteren scheinbar außergewöhnlichen Wunsches äußern. Ich brauche nichts mehr. Nur noch einmal heißes Wasser. Bitte. Für den Tee. Danke. Damit ich das trockene Brötchen, das trotz Butter und Belag staubt, hinunterbringe. Denke ich mir. Ich will es nicht liegen lassen. Der sparsame Schwabe würde mir das wohl übel nehmen. Es brennt auch kein Licht. Schließlich ist es Tag. Wer kann schon was dafür, dass sich draußen dunkle Wolken türmen?

 

Die anscheinend einzigen anderen Gäste, ein Ehepaar aus Polen mit zwei Kindern, reisen nach dem Frühstück ab. Herr Müller bittet mich um eine Übersetzungshilfe. Ins Englische, nichts ins Polnische. Alle sind sehr „delighted“ und „satisfied“, noch ein Lachen – von Herrn Müller natürlich -, ein Händeschütteln, ich mache auch einfach mit. Nachdem sie gegangen sind, sitze ich recht unvermittelt mit Herrn Müller am Tisch, und er erzählt mir von den Gästen, die da kommen und gehen. Spanier, Italiener sowieso, Polen und sogar Amerikaner. Und davon, dass er keine Kreditkarten nimmt.

 

Kurz nach zehn. Der Chronist, der in dem Haus wohnt, das ich vom Balkon aus sehen kann, ist im Moment nicht zu Hause. Zumindest öffnet niemand auf mein zweimaliges Klingeln, zwischen denen ich eine angemessene Pause vergehen lasse.

 

Ich bin unschlüssig, was ich hier tun soll. Jedenfalls nicht den ganzen Tag in diesem unsäglichen Zimmer bei trübem Wetter zubringen. Die örtlichen Sehenswürdigkeiten, soweit denn vorhanden, würden kein Tagesprogramm abgeben. Ich setze mich in mein Auto, besuche den kleinen Lebensmittelladen und lasse mir den Wagen an der örtlichen Tankstelle voll tanken.

 

Dann fahre ich erneut die wenigen Kilometer zum Alten Sägewerk. Ich fotografiere, was es zu fotografieren gibt. Erneut in den kleinen Weiler fahren. Ein paar idyllische Bilder. Langeweile. Was tun. Die nächste größere Ansiedlung, zu der ich mich bewege, lädt nicht zum Aussteigen aus. Unwillig fahre ich Richtung Augsburg, will fast wieder wenden, als mir einfällt, dass ich allemal keine bessere, nicht mal eine andere Idee habe.

 

Die Straße zieht sich kerzengerade über flaches Land, und ich lasse es einfach weiterrollen. Ein Parkhaus in der Stadt. Davor eine große Baustelle. Ich komme in die Fußgängerzone, wo sich viele Menschen auf- und abbewegen. Gleich am Anfang ein hübsch anmutendes Gasthaus. So auch innen. Gut besucht. Nur die Bedienung kann sich nicht einmal ein Lächeln abringen in ihrer grün-weiß gestreiften Weste. Die andere Bedienung, die mir das Essen bringt, wirkt um Nuancen freundlicher. Der Krautsalat fehlt. Sie bringt ihn. Die Toilette ist im ersten Stock. Wie auch ein weiterer Teil der Gastwirtschaft.

 

Als ich die Treppe wieder hinuntergehe, kommt mir eine nicht enden wollende Kette Japaner entgegen. Ich lächele und warte. Sie sehen mich gar nicht. Nur eine, die die Tür aufhält, um mich wieder in die Wirtsstube zu lassen. Nach dem Essen wieder hinaus zu den auf- und abströmenden Menschen. Ich gehe in das eine oder andere Geschäft. Von der Fülle der Produkte überfordert, halte ich mich nicht lange auf. Ich fotografiere das Rathaus und Herrn Fugger, damit ich mich erinnern kann, hier gewesen zu sein. Ich kaufe ein paar Kleinigkeiten und mache mich auf den Weg zurück.

 

Auf der Karte finde ich kleine Straßen, die ich fahren möchte. Kaum habe ich die Stadtgrenzen hinter mir gelassen, haben die Stadtteile und Dörfer sofort einen ländlichen Charakter. Und alle Menschen scheinen verschwunden. Niemand auf der Straße. Einmal verfahre ich mich.

 

Nach wenigen Kilometern ist die Straße zu Ende. Ein großes parkähnliches Gelände, zugewachsen mit großen, alten Bäumen. Mittendrin, nur durch die Büsche und Bäume zu sehen, ein schönes, altes, schlichtes Haus. Sehr weiß. Sehr schön. Das Gitter der Einfahrt ist offen. Ein anderes Haus, sehr lauschig und zugewachsen gibt es auch. Ein Idyll wenige Kilometer vor der Stadt. Ich wende und fahre den Weg zurück. Die Hauptstraße, in die ich abbiege, ist schmal und weist Schäden auf. Ich staune, es handelt sich um eine nicht enden wollende Allee aus alten Bäumen. An manchen Stellen sieht man einen nachgepflanzten jungen Baum. Es ist ein ungeheurer Anblick, so dass ich anhalte, um dies ebenfalls auf meine Kamera zu bannen. Später fahre ich eine recht neu gepflanzte Allee entlang. Ich frage mich, wer auf die Idee gekommen ist, dass zu tun. Aus meiner Sicht wirkt es irgendwie ungewöhnlich, heutzutage eine Allee zu pflanzen.

 

In einer der wenigen größeren Ansiedlungen halte ich spontan, um in einem italienischen Eiscafé einen Espresso zu trinken. Die Aussicht auf einen typisch deutschen berghöflichen Kaffee will ich mir nicht ausmalen. Bitte noch zwei Bällchen Schoko-Eis, in der Waffel, was macht das zusammen? Danke, Ciao.

 

Mit meinem bewaffelten Schoko-Eis fahre ich wieder Richtung Wald, es ist nicht weit. Komme so, dass ich am Alten Sägewerk vorbeikomme. Dunkle Wolken überall. Kurz nachdem ich mein Zimmer betreten habe, beginnt es zu regnen. Schöne Aussichten. Mittlerweile hat es aufgehört, die Sonne kommt ein wenig durch die Wolken, so dass es wenigstens nicht mehr ganz so kalt ist. Ob der Chronist jetzt zu Hause ist? Ein Blick über das Geländer nach links, die Einfahrt ist offen.

 

Es ist Hauptsaison, aber es kommt mir vor, als sei ich der einzige Gast. Ich frage mich, wo all die internationalen Gäste sind, von denen mir Herr Müller erzählt hat. Ob sie im Winter hierherkommen? Ich frage mich, warum überhaupt jemand hierher kommt. Ist ja auch keiner da. Im Moment jedenfalls. Außer mir. Und dem jungen Mann, der jetzt, wo er eine Arbeit gefunden hat, auf Wohnungssuche ist.

 

Und Herr Müller. Möglicherweise. Ich habe ihn nirgends gesehen oder gehört. Ich bin sicher, dass er hier ist. Er muß hier sein. Es ist noch jemand da. Gerade, als ich mich hier fast allein vermute und mich mit dieser Vorstellung vertraut mache, geht die Balkontür des Nebenzimmers hinter meinem Rücken auf. Ich drehe mich um. Ein vielleicht zwölfjähriger Junge sieht mich erschrocken an und geht sofort wieder hinein. Ich komme nicht dazu, Guten Tag zu sagen, schon ist er verschwunden. Die nächste Tür öffnet sich, am anderen Ende. Der Junge und ein Jugendlicher. Holländer. Ich drehe mich um, sehe sie an und sage nichts. Sie sagen auch nichts.

 

Außer diesen kurzen menschlichen Geräuschen höre ich das permanente An- und Abschwellen des Verkehrs. Der blau-gelbe Bus von gestern abend ist gerade bremsend den Berg hinuntergerollt. Die Holländer gehen über den Kies vor dem Haus. Die Straßenbauarbeiten nehmen kein Ende. Bagger, Sägen, Laster. Kaum zu glauben hier in der vermeintlichen Wildnis.

 

Zwanzig Meter weiter klingele ich wie heute morgen erneut bei Herrn Schuster. Frau Schuster macht die Tür auf. Nach einigen erklärenden Sätzen zu meiner Person und zur Sache verliert sich das Misstrauen in ihrem Gesicht, und sie ruft ihren Mann. Der Bürgermeister hat schon mit ihm gesprochen, auch meine Email liegt ihm vor. Wir gehen nach oben in sein Büro, wo er mir drei Seiten aus der Chronik kopiert. Ich erzähle ihm das Wenige, was ich weiß. Er hat mit einem Herrn gesprochen, der sich noch an meine Tanten erinnern kann. Nicht aber an den hier geborenen Onkel.

 

Er sagt, dass er jetzt mit mir zum Sägewerk fährt. Seine Frau scheint überrascht. Wir nehmen mein Auto. Dort klingelt er bei dem Haus, in dem möglicherweise mein Onkel geboren ist, und die Familie wenige Jahre verbracht hat. Bis der jüdische Besitzer des Sägewerkes 1928 ein Haus für den Geschäftsführer, sprich meinen Großvater, wenige Meter weiter bauen ließ. Wir gehen hinter das Haus und schauen auf den Bach, der einst die Mühle und die Säge betrieben hat. Und bis ins Jahr 1964 Strom für die Häuser produziert hat.

 

Herr Schuster weist zum wiederholten Mal darauf hin, dass es nicht klar sein, wo die Säge wirklich gestanden hat. Es gibt keine eindeutigen Belege dafür. Zwei Plätze kommen in Frage, was ihm keine Ruhe zu lassen scheint. Es gibt keine Alten mehr, die etwas berichten könnte, erzählt er mir.

 

Wir stehen eine Weile auf der Wiese am Bach, und er erzählt mir vom Dreieckshaus, das als Bürohaus erbaut wurde und 1931 abgebrannt ist. Ich bin erstaunt ob der dreieckigen Konstruktion und frage nach. Herr Schuster meint, das läge daran, dass das Grundstück diese Form gehabt hätte. Das will mir nicht einleuchten, ich sage aber nichts. Für ihn scheint ein dreieckiges Haus keine Besonderheit darzustellen. Für mich schon. Ganz besonders hier auf einer Wiese in der Mitte von nirgendwo.

 

Ich stehe auf der Wiese zwischen den beiden Häusern, in denen meine Großeltern in den 1920er Jahren gelebt haben. Auf der anderen Straßenseite der ehemalige große Holzlagerplatz entlang der Bahnlinie. Das – vermeintliche? - Idyll fand 1933 wohl ein jähes Ende, als der jüdische Sägewerksbesitzer gezwungen war, seinen Besitz kurzfristig zu veräußern. Und mein Großvater damit ohne Arbeit da stand.

 

Herr Schuster und ich fahren mit meinem Wagen zurück. Ich bedanke mich noch einmal sehr bei ihm für seine Zeit und versichere ihm, dass ich ihm die Bilder zukommen lassen werde, die ich ihm zuvor gezeigt hatte. Er will das mit der Chronik nicht mehr weitermachen, er mache das lange genug, er sei schließlich nunmehr achtzig Jahre alt. Seine Frau habe einen Herzinfarkt erlitten und sei erst seit Dienstag wieder zu Hause. Ich wünsche ihm und seiner Frau alles Gute.

 

Der Gedanke, die Tür zu dem großen, dunklen, unwirtlichen Gastraum aufzumachen, beflügelt mich nicht unbedingt. Ich nehme an demselben Tisch Platz wie gestern. Der junge Mann ist auch wieder da und sitzt wie gestern am Nebentisch, über dem unter einer kupferfarbenen, geschwungenen Lampe mit schmiedeeisernen Verzierungen ein Schild ´Stammtisch´ hängt.

 

Guten Abend, schöne Frau. Ich grüße allgemein und überhöre das andere. Die Holländer haben sich an einem Tisch am Fenster niedergelassen. Genau gesagt handelt es sich um ein Ehepaar mit zwei Kindern, wovon der eine der erwähnte etwa Zwölfjährige ist und der andere der, den ich auf dem Balkon als Jugendlichen wahrgenommen habe.

 

In der Küche und hinter dem Tresen herrscht für die hiesigen Verhältnisse eine unglaubliche Betriebsamkeit. Außer Herrn Müller ist seine Schwester anwesend sowie eine Dame, die in ihrem schwarzen Rock und ihrer weißen Bluse unschwer als Bedienung zu erkennen ist. Es wirkt als wären sie auf eine größere Anzahl von Gästen eingestellt. Herr Müller ist derzeit klar als Koch zu erkennen. Neben der weißen Schürze trägt er diesmal auch ein weißes Oberteil, das mit seinen dicken Knöpfen eindeutig dieser Kategorie zugeordnet werden kann. Er fragt mich gleich, ob ich denn heute mit einem Steak einverstanden sei. Rumpsteak? Ja. Gut, danke.

 

Die Holländer bestellen etwas zu essen. Ich frage den jungen Mann, ob er nichts essen möge. Er meint: später. Wann immer das hier sein soll. Ich wundere mich. Nach einer Zeit kommt die eindeutig identifizierte Bedienung mit einem großen braunen Tablett aus der Küche und geht an den holländischen Tisch. Meinen Salat bringt Herr Müller an den Tisch, lacht und meint, diesmal sei dies die Vorspeise, nachdem der gestern den Salat erst später gebracht hatte. Es scheint eine ungeheure Freude in ihm auszulösen.

 

Mein Telefon klingelt, eine Überraschung. Ich gehe in den Gang hinaus. Bis Herr Müller wedelnd am anderen Ende steht. Ich denke, es handelt sich um die Ankunft meines Rumpsteaks und beende mein Gespräch.

 

Als ich die Gaststube betrete, steht Herr Schuster vor dem Tresen. Ich möge doch meine Tante fragen, ob sie sich erinnern könne, wo die Säge gestanden hatte. Er scheint fast ein bisschen aufgeregt. Ich versichere ihm die Weiterleitung, frage nach seiner Telefonnummer. Das scheint ihm auch wichtig zu sein. Ich schreibe sie auf. Er bedankt sich, ich bedanke mich, er schüttelt mir die Hand und geht.

 

Die Bedienung bringt das Rumpsteak. Es schmeckt ausgezeichnet. Ich lobe Herrn Müller´s Eigenschaften als Koch. Ein wenig. Er sitzt mittlerweile bei den Holländern am Tisch, die ein wenig deutsch sprechen und berät sie auf seine unverhohlene schwäbische Art zu dem Thema des Nachtisches. Und lacht dazwischen. Herr Müller lebt hier.

 

In der Zwischenzeit dürfte ich einen großen oder wesentliche Teile des Lebens des jungen Mannes kennengelernt haben. Ich gestehe, dass ich es ihm über den Tisch hinweg auch ein wenig entlocke. Was nicht schwer ist. Ich kann verstehen, dass er für jede Ablenkung dankbar ist. Die Geschichten, die ich von ihm höre, beginnen sich aneinanderzureihen wie Perlen auf der Schnur. Die ganze Tragweite kann ich nicht ermessen. Er, glaube ich, auch nicht. Er denkt darüber nach, ob er ein Auto oder ein Motorrad kaufen soll. Auch ohne Führerschein. Dem sie ihm abgenommen haben. Und dann eine Woche vor Rückgabe, eine dumme Sache, der Freund betrunken. Abgesehen von der Sache mit dem Knast. Wo es für Tätowierungen, wie ich schon gestern erfahren habe, immer noch keine Farben gibt außer Schwarz. Und der Ex-Freundin, die spurlos verschwand. Und er mit dem gemeinsamen Kind dasaß. Sie ist bis heute unauffindbar.

 

Sein Handy klingelt, piepst. Ein Gespräch mit seiner Mutter, dann eines mit der Noch-Freundin, mit der er zwei Kinder hat. Eins und drei. Der Dreijährige sei ein Papa-Kind, und wenn sie ihn ihm vorenthalte, dann träfen sie sich vor Gericht wieder. Das älteste Kind lebt bei seiner Mutter und seinem Stiefvater, etwa zehn Meter – diagonal entfernt wohlgemerkt – von seiner Lebensgefährtin mit den beiden Kindern. Die Freundin hat ihn betrogen, mit einem ehemaligen Kumpel, von dem er nicht einmal mehr die Telefonnummer hat. Ich bedauere ihn nicht. Ich nicke und sage: Ach. Oder Aha. Oder so ähnlich.

 

Die Holländer gehen. Auf ihre Zimmer. Wohin auch sonst. Es ist noch nicht einmal neun Uhr abends. Mein zweites Bier steht weiter ab, aber auf dieses Zimmer will ich nicht. Ich bleibe sitzen und schaue aus dem Fenster zwischen den Gardinen hindurch, die auch etwa vierzig Jahre alt sein dürften. Cremefarben und grobmaschig. Was modern war. Ich lasse mein zweites Bier langsam weiter abstehen. Diesmal kein naturtrübes, Magenschmerzen verursachendes.

 

Ein älterer Herr kommt herein und setzt sich an den Stammtisch. Er spricht mit dem jungen Mann, und auch wir kommen ins Gespräch. Er fragt mich, wo ich herkomme wegen des Dialektes. Hessen. Er kommt ursprünglich aus Wiesbaden, aber das ist lange her. Seit fünf Jahren lebt er hier, vorher war er fünfundzwanzig Jahre in München. Seine Frau ist vor acht Jahren gestorben, und er zog wegen zwei seiner drei Töchter hier in die Nähe. Die haben auch ihr eigenes Leben und ihre Familien. Er wirkt nicht direkt wehmütig. Laut trägt er sich mit dem Gedanken, ob er nicht nach Wiesbaden zurückkommen solle, wolle. Oder – noch besser? – nach dem Tod seiner Frau in München hätte bleiben sollen. Hier klingt dann doch ein Funke Wehmut mit. Es ist unterhaltsam, und er ist feinsinnig. Soweit man es seinen Bemerkungen entnehmen kann, ist er öfter auf Reisen. Herr Müller setzt sich nach seinen Küchenpflichten auch für einen Moment an den Tisch. Die Schwester ist schon seit einiger Zeit nicht mehr auszumachen, die Bedienung wuselt irgendwo unsichtbar vor sich hin. Der ältere Herr geht nonchalant.

 

Herr Müller erzählt wie gestern abend von dem von Weinranken eingewachsenen Fahrrad des jungen Mannes. Von den Holländern. Und den Polen. Der junge Mann scheint einigermaßen verwirrt, will es sich aber nicht anmerken lassen. Herr Müller lacht und sagt, er hätte es ihnen gezeigt und gesagt: Sehen Sie, meine Gäste bleiben so lange, dass sogar ihr Fahrrad einwächst. Wahrscheinlich lachte er dabei. Ich hatte ihn gestern abend auf diese Idee gebracht und gemeint, dass er dies werbeträchtig einsetzen könne. Schon da hatte er zustimmen genickt. Und nun freut er sich hier ungemein darüber, dass er diese Idee gleich unter die Menschen bringen konnte. Der junge Mann scheint verwirrt, will sich verständlicherweise nichts anmerken lassen. Es ist offensichtlich, dass er die Geschichte nicht versteht. Herr Müller und ich amüsieren uns. Habe ich es Ihnen nicht gesagt? Herr Müller verschwindet wieder hinter den Tiefen des Tresens.

 

Nach einer weiteren Weile setzt in der Küche das ungeheure Getöse einer Geschirrspülmaschine ein. Es rumpelt und rauscht, als ob sich ein Monstrum in der Küche verbärge. Sie wird wieder ruhiger. Es ist nach halb elf und es ist Zeit zu gehen. Herr Müller zeigt von seiner Position hinter dem Tresen auf mein leeres Bierglas. Ich winke ab, stehe auf, gehe zu ihm zum Tresen und sage, dass ich nun einen Rotwein vorziehen würde. Rot und trocken.

 

Er wedelt mit einem leeren Römerweinglas vor meiner Nase, macht eine Bemerkung, die ich nicht verstehe und schenkt mir aus einer der vielen Flaschen einen Schluck ein. Ich solle probieren. Der Wein ist nicht trocken, eher sehr warm und weich. Ich bleibe gleich dabei und sage, er möge einschenken. Woraufhin ich erfahre, dass es sich um einen Trollinger handele. Gut. Ich verabschiede mich per Handschlag von dem jungen Mann, wünsche ihm alles Gute, für jetzt, für die Zukunft, für was auch immer.

 

Herr Müller stellt das volle Glas auf ein Tablett. Ich lache und sage: Das wird wohl nichts. Nehme nur das Glas, meine Handtasche, meinen Schreibblock und meinen Zimmerschlüssel und bewege mich durch die Tür in Richtung der grünumhüllten Teppich-Treppe. Zwei Meter schräg über den braunumhüllten Gang, in dem spärliches Licht brennt und noch ein Eimer und ein voller Wäschekorb stehen.

 

Der Wein ist schnell leer. Ich entscheide mich, den Weg noch einmal nach unten zu gehen. Der Gastraum liegt völlig im Dunkeln. Um die Ecke höre ich aus dem Nebenraum die Geräusche eines nächtlichen Fernsehprogrammes. Ich gehe langsam und vorsichtig hinein. Herr Müller sitzt in der Ecke der Eckbank und raucht. Ich lache und sage: Er raucht ja doch. Er meint: Natürlich. Ich halte das leere Glas in der Hand und frage ihn, ob er noch einmal nachschenken könne. Und wie lange er denn noch da sein müsse. Er würde noch seinen Kakao, der in einer großen Tasse vor ihm stand, trinken, dann sei es genug.

 

Sogar Herr Müller wirkt jetzt ein bisschen müde. Auf dem Weg zum Tresen frage ich ihn, wann es denn wieder losginge. Er überlegt einen Moment und meint: Um halb sieben. Ich sage: Das geht ja noch. Er muß eine neue Flasche aufmachen, sie hat einen Schraubverschluß. Ich nehme mein Glas, vergesse – glaube ich – mich zu bedanken und wünsche ihm im Losgehen eine gute Nacht. Als ich etwa auf der Hälfte der grünumhüllten Treppe bin, öffnet sich die Tür zum Gastraum erneut, und Herr Müller fragt mich, wann ich zum Frühstück kommen wolle. Ich sage: So wie gestern. Halb neun, neun. Gut. Gute Nacht.

 

Es ist Nacht, später als gestern. Es ist nicht so kalt. Eher ein warmer Wind, der sich ankündigt. Und irgendwo in der Schwärze der Nacht ein dauerndes Geräusch. Kein Licht mehr, die meisten Straßenlaternen sind aus. Vereinzelte Lichter und dieses Geräusch. Es ist viel wärmer als gestern.

 

Ich habe gut geschlafen. Geräusche aus dem Nebenzimmer, die Holländer. Mir reicht es jetzt. Der Gedanke an das Frühstück, das sich in seiner Zusammensetzung nicht von dem gestrigen unterscheiden würde, von dem ich aus Höflichkeit etwas nehmen würde, ist nicht ermutigend. Ich packe alle meine Sachen zusammen. Bemerke, dass das, was ich als ´wenig Gepäck´ benannt habe, aus diversen Taschen besteht, die ich auf keinen Fall auf einmal die Teppich-Treppe hinuntertragen kann.

 

Erst einmal lasse ich alles gepackt stehen, bin aufbruchbereit und gehe aus Höflichkeit zum Frühstück. Das einzig halbwegs Verlockende scheint der Tee. Der sich schön warm in mir ausbreitet. Es dauert allerdings eine ganze Weile, bis sich Herr Müller an eben diesen erinnert. Wie es eben manchmal so geht.

 

Sicherheitshalber schmiere ich nur ein halbes Brötchen. Mit viel Butter. Irgendwann erlöst er mich mit dem Getränk. Ansonsten ist er weder gesprächig noch wirkt er besonders fröhlich oder überhaupt irgendwie. Außer uns beiden erscheint niemand. Bevor ich mein Gepäck von oben hole, bitte ich ihn um die Rechnung. Diese schreibt er, als ich wieder nach unten komme, auf einen einfachen kleinen Block. Anhand eines Bierdeckels und mit Hilfe meiner Informationen trägt er die einzelnen Posten zusammen. Ich sehe, wie er langsam und bedächtig die Zahlen untereinanderschreibt, um sie auf ebendiese Weise zusammenzuzählen. Er reicht mir den Zettel: Rechnen Sie ruhig nach. Daran liegt mir nichts. Ich gebe ihm das Geld, bedanke mich für den Aufenthalt. Er wünscht mir gute Heimfahrt. Ich verstaue alles im Wagen und als ich vom gekiesten Parkplatz rolle, sehe ich für einen kurzen Moment Herrn Schuster in seiner Einfahrt stehen und mir zuwinken. Ich komme nicht zum Reagieren und will jetzt auch nicht mehr zurückfahren. Es ist genug. Von was auch immer.

 

Die einzigen Wolken am Himmel sind schneeweiß. Blauer Himmel, Sonne, endlich. Noch einmal am Sägewerk stehen bleiben. Diesmal in der Sonne. Auf die Wiese gehen, vor allem den kleinen Bach fließen zu sehen, der sich durch diese schlängelt. Da, wo einmal die Mühle stand.